Gnome, Wichte, Zwerge, Kobolde - gibt es da einen Unterschied?

Die kurze Antwort

Augsburger Puppenkiste: Kleiner König Kalle Wirsch
Augsburger Puppenkiste: Kleiner König Kalle Wirsch

Selbstverständlich gibt es da einen Unterschied! Jeder weiß doch, dass es sich um völlig verschiedene Wesen handelt. Der Kobold ist ein neckender Hausgeist. Pumuckl zufolge ist er dabei strikt vom Heinzelmann zu unterscheiden! Der wohl populärste deutschen Hauskobold hat nach eigenem Bekunden sogar eine regelrechte Abscheu gegenüber Heinzelmännchen (sowie auch gegenüber Gartenzwergen). Wohnen Kobolde nicht im Haus, sondern auf einem Schiff, werden sie Klabautermänner genannt. Leben sie im Wald, zählt man sie zu den Schraten.

Die Heinzelmännchen sind zwar ebenfalls Hausgeister, aber gutmütiger und hilfreicher als Kobolde; allerdings weniger ortstreu. Dem Vernehmen nach haben sie in Köln (genau genommen in Cölln [1]) zahlreichen Menschen bei ihrem Tagewerk geholfen, aber ihnen wurde übel mitgespielt und sie sind verschwunden. Andernorts werden hilfreiche Hausgeister zumeist Wichtel genannt. In Norddeutschland ist der gemeine Wichtel überwiegend im Weihnachtsgeschäft tätig. Gleiches gilt übrigens auch für den skandinavischen Nisse bzw. Tomte.

Gnome dagegen sind Erdmännchen. Am bekanntesten ist vermutlich Kalle Wirsch, der etliche Abenteuer gegen seinen ärgsten Widersacher Zoppo Trump bestand und am Ende sogar König der fünf Erdmännchen-Sippen wurde. Ein mutmaßlicher Nachfahre Zoppos ist dagegen unlängst bei den Menschen zum Präsidenten eines großen Landes gewählt worden.

Achtung! Manchmal werden Gnome fälschlicherweise als Zwerge bezeichnet. Letztere sind aber an ihren Zipfelmützen eindeutig zu identifizieren. Sie wohnen manchmal im Wald, häufiger aber im Stein und bilden Kleingruppen (oft sieben). Tagsüber arbeiten sie im Bergwerk, wo sie singen und nach Edelsteinen graben. Zu den Zwergen im weitesten Sinne gehören  auch noch die Elbenzwerge (Alberich bzw. Oberon), eine bestimmte Gruppe von Migranten in  Ankh-Morpork, ein uraltes Volk in Mittelerde sowie scheue Gartenbewohner, die inzwischen so selten geworden sind, dass einige Menschen zum Gedenken bemalte Tonfiguren ins Blumenbeet stellen.

 

Zugegeben, diese Darstellung ist stark verkürzend und auch nicht ganz ernst gemeint. Dennoch sind damit im Grunde die landläufig meistgenannten Kennzeichen von zwergartigen Haus- und Naturgeistern umrissen. Wer diese Ebene vertiefen möchte, dem seien die farbenfrohen, überaus detailreichen und durchweg liebevollen Schilderungen im Feldführer über Naturgeister von Nancy Arrowsmith [2] empfohlen, das neben ausführlichen Kennzeichenlisten sogar Hinweise zu geographischen Verbreitung der genannten Wesen enthält. 

Versuch einer ernsthaften Antwort

Schon die Scholastik des Mittelalters war außerordentlich interessiert daran, Ordnung in die Welt der Geister und Dämonen zu bringen. Auch die Erzählforschung hat sich natürlich mit dieser Frage beschäftigt und vielfach versucht, verlässliche Kriterien zur Unterscheidung von Zwergen und anderen mutmaßlich kleinwüchsigen Wesen wie Kobolden und Schraten sowie auch Alben bzw. Elben, Feen, etc. zu finden. Vergleichende Analysen stehen vor dem prinzipiellen Problem, dass die Benennungen weder in den überlieferten Volkssagen noch in anderen Textquellen einer strengen Systematik folgen. Dies betrifft sowohl den ontologischen Überbau, also die Einpassung der Geisterwesen in die menschliche Lebenswirklichkeit, als auch die Differenzierung einzelner Geisterwesen in unterschiedliche Gruppen.

 

Sind Zwerge nun Fabelwesen wie Einhorn und Antipoden? Oder sind es Naturgeister, Erscheinungen bzw. personifizierte Kräfte der Umwelt? Oder sollten sie gar bestimmten "Elementen" zugewiesen werden können, wie etwa das Konzept der Elementargeister nach Paracelsus nahelegt? In christlicher Deutung könnten es wiederum eher böse Dämonen sein, Diener des Teufels, eine Art Anti-Engel auf bösartiger Mission wider den Menschen.

 Die Romanliteratur, vom Heldenabenteuer des Mittelalters bis zum modernen Fantasy-Genre, hat natürlich auch nicht gerade zur Entwirrung beigetragen. Neuzeitliche Elben haben ja bekanntlich spitze Ohren (obwohl es gar keine Vulkanier sind) und pflegen eine Erzfeinschaft mit den Zwergen. Im wiederaufblühenden Neopaganismus unserer Tage wurden Zwerge wiederum verstärkt als Relikte einer alten, teils vergessenen Naturreligion wahrgenommen, die geheimes Wissen über die wahren Kräfte der Natur vermitteln können. Die gleiche Sehnsucht nach dem angeblich verlorenen Mystischen in der Welt  prägte auch die großen Sammlungen von Volkssagen während der Epoche der Romantik. Deren Protagonisten verstärkten durch ihre Deutungsversuche eine sprachliche Problematik, die schon im Mittelalter evident war.  Was in der einen Sage Kobold genannt wird, heißt anderswo Wichtel oder Zwerg; und auch Alben werden mal als Nachtmare, mal als böse Zwerge und mal als Schrate beschrieben. Insbesondere Texte aus unterschiedlichen Epochen sind in dieser Hinsicht schwer vergleichbar. Um verlässliche Unterschiede zu definieren oder gar eine systematische Klassifikation zu entwickeln, müsste man diese Wesen einer unabhängigen naturwissenschaftlichen Untersuchung unterziehen. Weil Zwerge nun einmal notorisch schwierig zu bekommen sind (Achtung: Scherz!), scheidet dieser Ansatz aber aus.

 

Da es zu keiner Zeit einen konsistenten Merkmalskatalog der Haus- und Naturgeister gegeben hat, muss jeder Versuch einer systematischen Dämonologie letztendlich schon an den gegebenen Ausgangsbedingungen scheitern. Man kann Heinrich Heine nur beipflichten, wenn er sagt :

 

Den Volksglauben selbst in ein System bringen, wie Manche beabsichtigen, ist aber ebenso unthunlich, als wollte man die vorüberziehenden Wolken in Rahmen fassen. Höchstens kann man unter bestimmten Rubriken das Ähnliche zusammentragen. Dieses wollen wir auch in Betreff der Elementargeister versuchen.

 

Und selbst das „Ähnliche zusammenzutragen“ ist schwer genug. Das fängt schon damit an, dass der Begriff "Zwerg" in deutschen Volkssagen überraschend selten anzutreffen ist. In Nord- und Mitteldeutschland ist beispielsweise meist von Erdgeistern, Unterirdischen oder Bergmännchen die Rede. Dazu kommt allerorten eine Unzahl regionaler Bezeichnungen. Aber selbst wenn man Zwerg als einen Sammelbegriff akzeptiert,  läuft man beim Versuch zur Definition von  typischen Merkmalen dieser Wesengruppe (abgesehen von der Körpergröße) schnell in Schwierigkeiten. Man könnte hier den Zwergenbart oder die Zipfelmütze anführen, möglicherweise auch bestimmte magische Fähigkeiten. Aber je weiter man die Quellen in der Zeit zurückverfolgt, desto spärlicher werden die Belege für die genannten Kriterien. Zu den Bärten und Mützen von Zwergen werde ich hier bald noch eine eigenen Beitrag veröffentlichen. Zwerge wohnen oft im Fels oder im Berg (Zwerglöcher) und scheinen daher eine gewisse Assoziation mit Erde oder Stein zu haben. Allerdings scheidet man an dieser Stelle schon die freilebenden Zwerge von den Hauswichteln. Und es ist durchaus fragwürdig, ob das sinnvoll ist. Viele Sagen berichten von Zwergen, die nur gelegentlich bei Menschen vorbeischauen und bei der Arbeit helfen. 

  

Lassen wir also diese Merkmalsvergleiche einstweilen beiseite und wenden uns einem anderen Ansatz zu. Wo kommen die Bezeichnungen wie Zwerg, Gnom und Wichtel eigentlich her, und was war ihre ursprüngliche Bedeutung? 

 

Zwerge

Zwerg Alberich verführt die Mutter des Lampardenkönigs, Straßburger Heldenbuch, ca. 1480
Zwerg Alberich verführt die Mutter des Lampardenkönigs, Straßburger Heldenbuch, ca. 1480 (WIKIPEDIA)

Nach Meinung des russischen Linguisten Vladimir Orel leitet sich das Wort Zwerg von einer protogermanischen Urform *đwerȝaz ab. Diese lässt sich über die Bezeichnungen dwerch (altfranzösich), dweorg (altenglisch), dvergr (altnordisch) und  twerg (althoch-deutsch) bzw. twerc/getwërg (mittelhochdeutsch) bis zu den modernen Formen, etwa dwarf (englisch), dvärg (schwedisch), oder eben Zwerg im Hochdeutschen nachverfolgen. Für die mittelhochdeutsche Form wird vermutet, es könnte „Trugbild,  Gespenst“ bedeutet haben. Der russisch-amerikanische Linguist Anatoly Liberman postuliert eine Wurzel *dwezg-, die zu althochdeutsch getwās bzw. mittelhochdeutsch getwâs  in der Bedeutung von 'Gespenst, Geist' sowie ebenfalls zur  altenglischen Bezeichnung gedwǣsmann, 'dummer, irrer Mensch' führt. Irrsinn könnte als Besessenheit einem Kranheitsgeist *dwezgaz zugeschrieben worden sein.

 

Alle diese Bezeichnungen gehören wohl in das Umfeld der Wurzel *dheues 'Atem', von der auch das altgriechische ϑεός, 'Gott' abgeleitet ist. Auch das litauische dvasia ‘Geistwesen' gehört hierher, wie der norwegische Linguist Ugnius Mikučionis anführt. Dieser vermutet, dass Zwerge ursprünglich als Geistwesen gedacht waren, sich aber auch zu anthropomorphen Körperwesen manifestieren konnten, was letztlich zu den physischen Beschreibungen von (nordischen) Zwergen führte.

 

Etymologisch lässt sich aus dem Appellativ Zwerg nicht unmittelbar körperlicher Kleinwuchs ableiten. Die frühen mittelalterlichen Belege wie Glossen, Bußbüchern und heilmagische Texten des christlichen Aberglaubens geben selten Auskunft über das Aussehen der jeweils beschriebenen Wesen. Manchmal wird auf offenbar körperlose Dämonen Bezug genommen, dann wieder scheinen Zwerge die Gestalt von Kleingetier wie Würmern und Spinnen zu haben. Ab etwa dem 12. Jahrhundert scheinen jedoch in der aufkommenden mittelhochdeutschen Literatur mit getwerg  generell Wesen mit geringer Körpergröße und menschlicher Gestalt gemeint gewesen zu sein, die der modernen Definition eines Zwergs nahekommen. 

 

Der bekannteste Zwerg der deutschen mittelalterlichen Literatur ist vermutlich Alberich. Im Nibelungenlied hat er jedoch nur einen kurzen Gastauftritt. Der Leser erfährt von Hagen, Alberich gehöre zum Gefolge des Königs Nibelung und sei trotz seiner Tarnkappe vom Helden Sigfried besiegt worden. Altfranzösische Texte haben die Figur als  Alberon oder Auberon aufgegriffen, und später verwendete Shakespeare diesen Namen für seinen Feenkönigs Oberon. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.

 

Wichtel

Wichtel ist ein Diminutiv von Wicht; einer Bezeichnung, die heute eigentlich nur mit einer negativen Konnotation (armer Wicht, Bösewicht) verwendet wird. Das Wort Wicht stammt von dem althochdeutschen wiht ab und bedeutet ganz einfach Ding . Die gleiche Wurzel hat das moderne deutsche Wort „nichts“, welches vom  althochdeutschen Indefinitvpronomen niawiht oder nêowiht abstammt, mit dem ein nicht-Ding bezeichnet wurde  – so beispielsweise in dem adverbialen  Ausdruck mit niawihtu ( = mitnichten). Als Wesensbezeichnung war Wicht ursprünglich ein Tabuname [3]. Tabunamen gehen auf den Glauben zurück, dass Worte äquivalent zu Dingen und Namen äquivalent zu den Namensträgern sein können (Runen beispielsweise konnten sowohl magisches beschreiben als auch selbst magisch sein). Man befürchtete, dass die Nennung des wahren Namens eines Dämons unheilvolle Konsequenzen nach sich ziehen könnte – etwa, dass man ihn dadurch verärgerte, oder er sogar herbeigerufen worden wäre. Sicherheitshalber wurde deshalb eine alternative Benennung, eben ein Tabuname, gewählt . Ein Ulmer Hausgeist soll "der gut Ding" genannt worden sein - der Wicht-Name wurde hier sozusagen ins Hochdeutsche transformiert.

 

Gnome

John Bauer: Gnome Boy
Illustration von John Bauer (Among pixies and trolls, 1909)

Paracelsus prägte den Begriff „Gnome“ für eine Gruppe kleiner Erdgeister. Möglicherweise konstruierte er eine (fehlerhafte) Ableitung aus dem Griechischen (gēnomos = Erdbewohner), um sie auch sprachlich leichter in das Gefüge seiner vier-Elemente-Lehre einzupassen. Paracelsus war in dieser Hinsicht recht erfinderisch. Für Luftgeister erfand er eigens den Begriff „Sylphen“. 

 

Durch den enormen Einfluss des Paracelsus fand der Begriff Gnom in der Folgezeit sowohl im Volksglauben als auch in der Wissenschaft weite Verbreitung. Ob Paracelsus generell alle Zwerggeister als Gnome betrachtete ist nicht ganz klar; beispielsweise scheinen die Kobolde in seinem Universum keinen Platz gehabt zu haben. Heute werden die Begriffe Gnom und Zwerg  jedenfalls weitgehend synonym verwendet, und auch Kobolde werden regelmäßig als Gnome bezeichnet.

Kobolde

Johann Heinrich Füssli: Nachtmahr, 1781
Ausschnitt aus dem Gemälde Nachtmahr von Johann Heinrich Füssli ( 1781)

Den Kobolden wird, weit mehr noch als den Zwergen, ein bösartiges Naturell angelastet. Bestenfalls sind sie neckisch, schlimmstenfalls tödlich. Oft gelten sie als Hausgeister. Ihrer Wesensbeschreibung nach können sie sowohl mit den Nachtmahren einerseits als auch mit den Heckemännchen und dem Spiritus familiaris andererseits überlappen.

 

Die Herkunft der Bezeichnung ist - zumindest meiner Meinung nach - nicht abschließend geklärt. Heute wird in der Sprachforschung überwiegend die Auffassung vertreten, dass das Wort Kobold in der altdeutschen Sprache wurzelt und inhaltlich auf die römischen Hausgötter (Laren, Penaten) zurückgeht. Der Franziskaner Rudolf von Biberach behauptete, eine im Volk verbreitete Bezeichnung der Penaten wäre Stetewalden gewesen. 

Die Endung -walden findet sich noch im heutigen Wort walten bzw. verwalten. Als eine mögliche protogermanische Wurzel wird deshalb *kuƀa-Walda in der Bedeutung von Hausmeister, Hausverwalter genannt. Für die Bildung des Wortes Kobold könnte der altdeutsche Begriff stete durch das mittelhochdeutsche Wort kobe (Stall, abgedecktes Erdloch) ersetzt worden sein. Die Endung –old könnte  aus dem althochdeutschen hold (gewogen, zugeneigt) stammen, so wie es auch im Wort Unhold vorkommt.

 

Die Interpretation der Bezeichnung Kobold aus einer Funktion als Hausgeist heraus widerspricht allerdings den Schilderungen von Georgius Agricola. Dieser bezeichnet einen "Cobalos" in seinem Kompendium über den Bergbau aus dem Jahr 1556 als einen Berggeist. Mit der etwas missverständliche Benennung bezieht Agricola sich wohlgemerkt auf einen im Berg lebenden Geist und nicht etwa einen auf dem Berg lebenden Gebirgsgeist wie etwa den Rübezahl. Nach dem neckenden täuschenden Wesen des Cobalos wurde schon im 16. Jahrhundert nachweislich das Metall Kobalt so benannt. Übrigens führte dieses Vorbild später auch zur Benennung des Nickels nach dem gleichnamigen Berggeist.

Agricola vermutete für sein "Cobalos" einen griechischen Ursprung, und Jacob Grimm pflichtete dem bei:  das Wort sei eine Herleitung aus dem altgriechischen κόβαλος/kobalos = Schalk, Spitzbube. In der griechischen Mythologie verstand man unter den "Kobali" lärmende Teilnehmer des Bacchuszuges. Auch die Verwendung des Begriffes in der Bedeutung von Spitzbube ist in der antiken Literatur mehrfach verbürgt.

Referenzen

[1] Kopisch, A. (1856). Die Heinzelmännchen. August Kopischs Gesammelte Werke.
[2] Arrowsmith, N. (1977). A Field Guide to the Little People. Deutsch: Elben, Trolle und Hobgoblins. Piper, 2005.
[3] Röhrich, L. (1951). Der Dämon und sein Name. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 73: 456-468. S. 460.

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    czytaj dalej (Dienstag, 31 Oktober 2017 12:08)

    kopyść

  • #2

    πψ (Mittwoch, 30 Juni 2021 20:44)

    Dieser Blogpost wurde heute im Podcast Fest&Flauschig teilweise vorgelesen :)

  • #3

    Sabine (Freitag, 16 Dezember 2022 08:28)

    Sehr nice. Super