Hier sind Hausdrachen

„Nein, ich will nichts damit zu schaffen haben Das ist bare Hexerei! und bin ich doch schon oft, bloß darum, weil ich
eine tüchtige gute Hausmutter bin, in den Verdacht gekommen, als flöge der Drache bei mit ein und aus. Fort,
junger Herr, bleibt mir vom Leibe!“
[1]

Der deutsche Dichterfürst J.W.v. Goethe war mit Drachen offenbar so vertraut, dass er sie in Dialoge seiner Bühnenstücke einbaute. Aber was ist das für ein seltsamer Drache, der gleich einem Wellensittich in die Wohnung und wieder hinaus fliegen soll? Doch wohl nicht der Typ Drachen, den der heilige Georg erlegte. Und auch nicht wie jener sagenhafte Drache, der von Siegfried erschlagen wurde. Nicht zu reden von einem riesigen feuerschleudernen Ungetüm wie Smaug aus dem privatmythologischen Universum von J.R.R. Tolkien.

Offenbar existieren in der Vorstellung des Menschen verschiedene Typen von Drachen. An dieser Stelle soll nicht der Versuch gemacht werden, den bereits reichlich vorhandenen Abhandlung über mythologischen Drachen eine weitere hinzuzufügen. WIKIPEDIA bietet mit "Drache (Mythologie)" eine recht gute Einstieg in das Thema. Auch der Artikel "Drachen im Mittelalter" von Tobias Enseleit auf der Webseite "Mittelalter Digital" enthält eine schön aufbereitete Übersicht über verschiedene Drachen. Für alle, die wissenschaftlich etwas tiefer eintauchen möchten ohne sich durch hunderte von Seiten zu kämpfen, empfehle ich die Artikel "Der Drache" von Claude Lecouteux [2] und "Drache und Greif – Symbole der Ambivalenz" von Christa Tuczay [3]. Besonders lesenswert ist die Publikation "Snake to Monster: Conrad Gessner's Schlangenbuch and the Evolution of the Dragon in the Literature of Natural History" [4] . Darüber hinaus gibt es natürlich auch ausführliche Monografien zu dem Thema, oftmals jedoch fokussiert auf die "klassischen" Sujets der mittelalterlichen Heldenepik  wie Beowulf oder den Sigurd/Siegfried Sagenkreis. Das alles soll hier nicht weiter interessieren, denn hier geht es um einen Drachentypus, dem die genannten Texte viel zu wenig Aufmerksamkeit schenken: den Hausdrachen.


[1]  Was wir bringen. Siebenter Auftritt. Gelegenheitsdichtung von Johann Wolfgang von Goethe anlässlich der Eröffnung des Theaters in Bad Lauchstädt, 1802

[2] Claude Lecouteux: Der Drache. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 1979 Vol. 108 S. 13-31

[3] Christa Tuczay: Drache und Greif – Symbole der Ambivalenz. Mediaevistik 2006 Vol. 19 S. 169-211

[4] Philip J. Senter, Uta Mattox, Eid. E. Haddad (2016), Snake to Monster: Conrad Gessner's Schlangenbuch and the Evolution of the Dragon in the Literature of Natural History, Journal of Folklore Research, Vol. 53, No. 1-4

Der Hausdrache

 

Nein, nicht der Hausdrache, der von Google zuerst vorgeschlagen wird und  auf dem nebenstehenden Gemälde illustriert ist :-)

 

Lustigerweise kennt auch das WIKTIONARY nur diese eine Bedeutung. Aber nein, ganz falsche Richtung!

 

Es geht um einen "echten" mythologischen Drachen. Wie schon gesagt, zu wenig Aufmerksamkeit! Aber es ist eben zugegebenermaßen nicht jener schreckliche Drache gemeint, der heutzutage typischerweise unter dieser Bezeichnung verstanden wird.

 

Sokrates und Xanthippe. Gemälde von R. van Blommendael (Ausschnitt)
Sokrates und Xanthippe. Gemälde von R. van Blommendael (Ausschnitt)

Der Drache im Atlas

 Beispiel eines Kartenblatts aus dem Atlas. Herkunft/Rechte: Museum Guntersblum / Albert Hillesheim (CC BY-NC-SA)
Beispiel eines Kartenblatts aus dem Atlas. Herkunft/Rechte: Museum Guntersblum / Albert Hillesheim (CC BY-NC-SA)

Vor rund hundert Jahren war der Begriff des Hausdrachens geläufiger. Immerhin war das Wesen so prominent, dass es Inhalt einer Frage im Rahmen des Mammutprojektes "Atlas der deutschen Volkskunde" war. Übrigens wäre das Atlas-Projekt einen eigenen Blog-Artikel wert, hier aber nur so viel dazu: Zwischen 1930 und 1935 wurde eine Art Volksbefragung (gesammelt durch rund 20.000 sog. Gewährsmänner) mit 243 Fragen im Deutschen Reich durchgeführt, die verschiedenartige Arbeitsweisen, Lebensgewohnheiten, Bezeichnungen von Gegenständen und auch Feste und Brauchtum umfasste, so etwa Erntetechniken in der Landwirtschaft, Zubereitung von Speisen, Benennungen von Musikinstrumenten, Volksmedizin und vieles mehr. Frage Nummer 45 hatte folgenden Inhalt:

 

a)      Weiß man von einem feurigen Hausdrachen?

b)      Welches ist seine Bezeichnung?

c)      Ist sein Verhältnis zu den Hausbewohnern freundlich oder feindlich?

 

Eine Vorauswertung dieser Frage stellte der dafür zuständige schlesische Volkskundler Walther Steller in den "Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde" vor [1]. Danach war der Hausdrache praktisch im gesamten Befragungsgebiet (das sog. deutschsprachige Kulturgebiet, von der Schweiz im Südwesten bis Ostpreußen im Nordosten) mehr oder weniger bekannt, freilich unter vielen verschiedenen Namen und mit durchaus variierenden Eigenschaften. Großartige neue Erkenntnisse wurde allerdings durch diese Befragung nicht zutage gefördert, denn die gleiche Vielfalt an Namen und Wesensmerkmalen konnte man schon den zahlreichen Sammlungen sogenannter "Volkssagen" im 18. und 19. Jahrhundert entnehmen.


[1] Steller, W. Der deutsche Volkskunde-Atlas. Landesstelle Niederschlesien. Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde (1933), Band 33, S. 225-266

 

Der fliegende Hausgeist

Geschichten über Hausdrachen scheinen über eine lange Zeit überaus poulär gewesen zu sein, was schon an der  Vielzahl regionaler Benennungen deutlich wird. Sehr häufig, unter anderem in Sachsen, heißt er einfach "Drachen" oder niederdeutsch "Drak". In Thüringen findet man auch "Steppken", nach Niedersachsen hin "Stöpke", "Teckelmucker" sowie "Gluswanz" (Glühschwanz), "Fuerdrake" (Feuerdrache) und ähnliches. In der sorbischen Lausitz nennt man ihn "Plon", im ehemaligen Pommern und Ostpreußen oft "Alf" oder - in slawisch geprägten Sprachregionen - "Kolbuk", "Kaubuk" oder "Kubotschik".  Aus Österreich kennt man unter anderem die Bezeichnung "Schab" und aus der Schweiz "Mandreiola". Nicht zuletzt folgen viele Texte auch der christlichen Doktrin: Insbesondere im katholischen Bayern war es der leibhaftige "Teufel", der in die Häuser flog. Insgesamt kommt man wohl auf gut 50 verschiedene Benennungen, je nach dem wie man die (manchmal nur leicht unterschiedlichen) Schreibweisen und mundartlichen Variationen zählt . 

Wie die Namen, so sind auch die überlieferten Wesensmerkmale des Hausdrachens sehr vielfältig und einige davon finden sich auch bei anderen mythologischen Wesen. Solche Merkmalsüberlappungen sind aber nicht selten. Wie bei anderen Sagenwesen ist es auch bei den Hausdrachengeschichten offenbar im Lauf der Zeit zu phantasievollen Erweiterungen sowie Verschmelzungen oder Verwechslungen gekommen. Wir werden ganz am Schluß dieses Artikel noch darauf zurückkommen. Andererseits sind die Charakteristika des feurigen Haudrachens in der Summe so typisch, dass man seine Entwicklung recht zuverlässig durch Raum und Zeit verfolgen kann. Was macht ihn also in seinem Wesenskern aus?

Hausgeister werden gefüttert. Pamphlet von 1579: "A rehearsall both straung and true...". University of Michigan Library: http://name.umdl.umich.edu/A12973.0001.001
Hausgeister werden gefüttert. Pamphlet von 1579: "A rehearsall both straung and true...". University of Michigan Library: http://name.umdl.umich.edu/A12973.0001.001

1880 veröffentlichte der Literaturwissenschaftler Edmund Veckenstedt (1840 - 1903) die Sammlung  "Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche". Das Buch ist eine reichhaltige Quelle für Begebenheiten mit Hausdrachen. Insbesondere informiert es uns über dessen bevorzugten Aufenthaltsorte in menschlichen Behausung sowie über das Verhältnis zu seinem "Besitzer". Ganz so wie bei anderen Hausgeistern musste der Drachen nämlich gut behandelt werden. Vor allem die regelmäßige und artgerechte Fütterung war wichtig, ansonsten war Unglück vorprogrammiert:

 

Ein Bauer in einem Dorfe bei Hoyerswerda hatte einen Drachen. Einst wollte er mit seiner Frau in die Stadt zum Abendmahl gehen. Deshalb übertrug er die Sorge um den Drachen seinem Knecht. Der Knecht freute sich sehr, einmal einen Drachen sehen zu können. Zur rechten Zeit kochte er, wie ihm befohlen war, die Milchhirse, setzte sie auf die oberste Stufe der Bodentreppe und versteckte sich. Sogleich kam ein buntes Kalb aus der Bodenkammer und machte sich über die Milchhirse her: da diese aber zu warm war, so ward der Drache zornig. Aus seinem Munde drang ein grosser Feuerstrahl heraus, so dass das Haus in kurzer Zeit niederbrannte. Der Drache ist, wie die Leute gesehen haben, davongeflogen. [1]

 

Veckenstedt berichtet auch über zahlreiche Methoden, wie man zu einem Hausdrachen kommen kann. Ähnlich wie Hauskobolde konnte man ihn käuflich erwerben, oder auch durch bestimmte magische Praktiken herbeizaubern. Für die zauberunkundige wie mittellose breite Masse gab es immerhin noch eine andere Lösung:

 

Wenn Jemand in der Dämmerung ein weisses Hühnchen unter einem Strauch sitzen sieht, so kann er sicher sein, dass es der Drache ist, welcher darauf wartet, dass er von Jemand in das Haus mitgenommen wird. [2]

 

Der Lehrer Max Toeppen (1822 - 1893) aus der früheren preußischen Provinz Ostpreußen veröffentlichte 1867 ein Buch mit dem Titel "Aberglauben aus Masuren". Darin gibt er zahlreiche Begebenheiten mit einem meist "Kolbuk" genannten Wesen wieder, das wie ein Vogel durch die Luft fliegt und den Menschen Reichtümer zuträgt:

 

Eine Kaufmannsfrau in Neidenburg hatte einen Vogel, wie eine Eule, der ihr Reichthümer verschaffte, wie sie denn auch einen großen Aufwand machte. Nach ihrem Tode soll die Eule durch den Schornstein zu einem Verwandten geflogen sein. Der Mann fand nach ihrem Tode einige tausend Thaler und Kostbarkeiten aller Art, goldene Uhren, Ketten, kostbare Kleiderstoffe, wovon er früher nichts gewußt hatte, wodurch die Sache bestätigt wurde. [3]

 

Karl Müllenhoff. Wikipedia, public domain
Karl Müllenhoff. Wikipedia, public domain

Der Philologe und Märchensammler Karl Müllenhoff (1818 - 1884) liefert uns in seiner Sammlung von Sagen aus Schleswig, Holstein und Lauenburg die folgender Beschreibung:

 

Der Drache ist ein großes feuriges Tier mit einem langen Schweif, von der Größe eines Bese- oder Windelbaumes. Bald zieht er hoch, bald ganz niedrig eben über der Erde hin und schlüpft mitunter in ein Haus. Wenn zwei Brüder, indem sie miteinander fahren, einen solchen Besuch sehen, und nehmen sie dann ein Wagenrad ab, stecken es aber verkehrt wieder auf und fahren weiter, so kann der Drache nicht wieder zurück und das Haus muß verbrennen. Wenn einer ihn niedrig und in dunkelrotem Feuer glühend hinziehen sieht, so muß er sich unter ein Dach stellen, den Hintern entblößen und die blanke Scheibe dem Drachen zukehren; dann entsetzt er sich, platzt und die schwere Geldladung, die er, wenn er so aussieht, immer mit sich führt, fällt heraus und macht den Finder zum reichen Mann. Er muß es aber ja nicht auf freiem Felde tun; denn dann bewirft ihn der Drache mit Unrat. Der Drache kommt zu den Leuten, die mit ihm in Verbund sind, gewöhnlich durch den Schornstein oder das Eulenloch. Er bringt ihnen nicht nur Geld, sondern auch Geldeswert. [4]

Besonders interessant an der Schilderung von Müllenhoff sind zwei Beschwörungspraktiken für den Drachen. Zum einen wird der Drache durch das seitenverkehrte Aufziehen eines Wagenrads im Haus gebannt - was dazu führt, dass er das Haus seines Besitzers verbrennt, um sich zu befreien. Der Drache wird hier als mythologische Erklärung (ein ätiologisches Narrativ) für Feuersbrünste herangezogen, die zudem eine Komponente der nachbarlichen Missgunst enthält. Letzterer wird die letztendliche Schuld zugewiesen.

Zum anderen kann der Drache offenbar von Fremden um sein Diebesgut erleichtert werden, wenn diese eine bestimmtes Ritual vollziehen.

In Müllenhoffs Version ist es das Zeigen des blanken Hinterns, in anderen Geschichten muss man seine Schubändern durchschneiden, etwas nach dem Drachen werfen oder eine magische Formel sprechen. Wir werden auf das Fallenlassen von Gegenständen durch den Drachen später noch zurückkommen.


[1] Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. 1880. Kap. XL, S. 390

[2] s.o. Kap. XL, S. 385

[3] Max P. Töppen: Aberglauben aus Masuren (1866). 
[4] Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. 1845. S. 221-222.

 

Volksphilosophische Betrachtungen

 Scan aus dem Buch. Bayerische Staatsbibliothek. Kein Urheberrechtsschutz - nur nicht-kommerzielle Nutzung erlaubt
Scan aus dem Buch. Bayerische Staatsbibliothek. Kein Urheberrechtsschutz - nur nicht-kommerzielle Nutzung erlaubt

Im Gegensatz zu magischen Geldmännchen und anderen "Geldbrütern", die Geld oder Gold aus dem Nichts erschaffen konnten, waren die vom Drachen zugeführten Güter keineswegs übernatürlichen Ursprungs. Im Gegenteil, der Drache brachte Diebesgut! Nicht überraschend kursierte daher in der frühen Neuzeit unter der Bevölkerung ein buntes Konvolut von Ratschlägen, wie man sich den Drachen vom Hals halten könne. Anfang  des 18. Jahrhunderts trug der Zwickauer Apotheker Johann Georg Schmidt zeitgenössische volksmagische Praktiken und Aberglauben zusammen, die er in seinem Buch „Die gestriegelte Rockenphilosophie“ [1] kritisch beleuchtet (der Titel ist eine politisch nicht ganz korrekte Anspielung auf die Ammenmärchen, die sich Frauen angeblich bei den Arbeiten am Spinnrad erzählten). Darin behandelt Schmidt einige magische Praktiken zur Abwehr des Drachens und versucht sich auch an einer mythologischen Einordnung:

 

Weil aber insgemein gesaget wird / daß der Drache das und jenes holete, so möchte ich doch wissen, was man denn eigentlich durch den Drachen verstehe? denn es kan dieser Nahme auf dreyerley Art verstanden werden. Erstlich der Teufel an- und für sich selbst; zum andern der in der Lufft fahrende feurige also genannte Drach, und drittens ein natürlicher Drach, welcher ein grausamer grosser gifftiger Wurm oder Schlange, dergleichen der Ritter St. George soll erlegt haben. [2]

 

Im weiteren Text erläutert  er verschiedene Maßnahmen und untersucht sie auf ihre Wirksamkeit. Zu nennen wären hier Kapitel 105: Wer viel Geld einzunehmen hat, der soll Kreyde darzulegen, so können böse Leute nichts davon wieder holen, Kapitel 106: Wenn der Drache oder böse Leute einem nichts vom Gelde holen sollen, so wasche man es nur in reinem Wasser ab, und lege ein wenig Brodt und Salz darzu, sowie Kapitel 372: Wer in der Erndte das erste Korn einführet / der soll von denen ersten Garben etliche nehmen / und in die vier Winckel der Scheunen Creutze damit legen / so kan der Drach nichts davon holen.

 

Vor allem das Kapitel 105 über die Kreide ist sehr humorvoll geschrieben. Da man es online nachlesen kann, sei nachfolgend nur das ebenfalls humorige Fazit Schmidts über die wahre Natur des diebischen Drachens wiedergegeben:

 

Es kömmet offt was weg von ein und andern Sachen,
Da man deßwegen nicht beschuldgen darff den Drachen.
Es thut es nicht der Drach, vielweniger der Teufel,
Die Frau, Knecht, Magd und Kind sinds eh; glaubs ohne Zweifel.


[1]  Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987].

[2] s.o., Band 1 / Das dritte Hundert / Das 72. Capitel. S. 176-180.

 

Ob der Drache oft zu ihr käme und ob sie einen Gelddrachen hätte?

Hexe mit drachenähnlichem Wesen. Pamphlet von 1579: "A rehearsall both straung and true...". University of Michigan Library: http://name.umdl.umich.edu/A12973.0001.001
Hexe mit drachenähnlichem Wesen. Pamphlet von 1579: "A rehearsall both straung and true...". University of Michigan Library: http://name.umdl.umich.edu/A12973.0001.001

Kann man den Gelddrachen im Volksglauben des 18. und 19. Jahrhunderts noch als amüsante Anekdote betrachten, so war das Thema im 16. und 17. Jahrhundert todernst - im wahrsten SInne des Wortes.  Zwischen 1555–1664 fanden in der Stadt Bernburg an der Saale zahlreiche Hexenprozesse statt. Eines dieser Verfahren, durchgeführt von 1617–1619, zielte auf die  Frau des Bürgermeisters Barbara Meyhe. Ihr wurden zahlreiche in Hexenprozessen typische Delikte vorgeworfen, von der Verhexung von Personen bis zur Anwendung von Zauberpraktiken. Unter anderem wurde sie auch gefragt, "ob sie einen Gelddrachen hätte, der auf dem Birnbaum im Garten Geld ausspeie, ob sie einen Getreidedrachen hätte, der ihr vom Land anderer Leute das Getreide zuführe, ob ein schwarzer Vogel ihr die vielen vorgefundenen Eier gebracht habe?" und ein Stadtknecht bezeugte den Besuch des Drachen bei ihr selbst noch im Gefängnis: „es möchte wohl der böse Feind bei ihr gewesen sein“, denn er habe hinter der Tür einen Lichtschein gesehen [1].

 

Johannes Dillinger, als Historiker in Mainz und an der Oxford Brookes Universiät tätig, hat zahlreiche weitere Beispiele für Hexenprozesse recherchiert, in denen Frauen ein teuflischer Pakt mit geldbringenden Dämonen vorgeworfen wurde [2]. So wurde im Jahr 1580 in Coburg Margaretha Hönin als Hexe verbrannt, unter anderem weil sie angeblich regelmäßigen von einem Gelddrachen besucht wurde. Und 1628, ebenfalls in Coburg, wurde Margaretha Ramhold der Hexerei bezichtigt und exekutiert. Durch den Verkauf von Milch und Bier relativ wohlhabend geworden, war die einzig mögliche Erklärung für das Gericht offenbar ein Drachen, der Geld (oder gegebenenfalls auch Milch) brachte. Dillinger liefert auch eine interessante und plausible Begründung für den Umstand, dass gerade der Drache bei der "Überführung" einer Person als Hexe ins Spiel kommen konnte. Denn zu dieser Zeit waren vielfältige volksmagische Praktiken im Gebrauch, um den eigenen Reichtum zu mehren. Aber magische Schätze gehörten niemandem, während ein Drache seinen Besitzers mit Diebesgut der Nachbarn und Mitbürger beglückte. Es war im Grunde also gar nicht Magie, die hier justiziabel wurde, sondern ein ganz gewöhnliches weltliches Delikt: der Diebstahl.

 

 

 Im späten 17. Jahrhundert war die Justiz in Sachen Drachen schon deutlich kritischer geworden. Aus einem Aktenstück des sächsischen Gerichtsamts Riesa wird die öffentliche Rehabilitation des "Hannßen Burckerdten zu Nickeritz" dokumentiert, der sich zusammen mit seiner Frau am 4. November 1674 an das Gericht gewandt hatte: man würde ihnen nachsagen,  sie hätte einen Drachen, würden diesen füttern und dieser  würde Feuersbrünste auslösen. Bei den Nachforschungen stellte sich heraus, dass ein 15jähriger Pferdejunge einen hellen Lichtschein über Burkerdts Scheune gesehen haben wollte; die ehemalige Magd der Burkerdts wurde schließlich als mögliche Quelle der üblen Nachrede ausgemacht [3]. Im Jahr 1711 wurde das Ehepaar Kirsten aus Cotta anläßlich des Ausbruchs eines Brandes der Zauberei angeklagt und beschuldigt, sie hätten den Drachen. Obwohl ein Zeuge versicherte, er habe den Drachen selbst aus- und einfliegen sehen, schenkte das Gericht der ganzen Geschichte keinen Glauben und  wies an, die Anschuldigungen gegen das Ehepaar zu unterlassen. [4]

 

Der Literaturwissenschaftler Johann Grässe hat diese Begebenheit 1874 in seine Sammlung sächsischer Sagen wiedergegeben. In seiner Zusammenfassung klingt es allerdings fast so, als hätten die Kirstens wirklich einen Drachen gehabt und wären nur mangels Beweisen freigesprochen worden:

 

Im Jahre 1714 [Anm: 1711, hier irrt Grässe] ist das Ehepaar Kirsten zu Cotta bei Dresden in Anklagestand gesetzt worden, weil sie den Drachen hätten, den Viele bei ihnen aus- und einfliegen gesehen, das Vieh behexten, so daß keine Butter gemacht werden konnte u.s.w.; allein unter dem 5. Novbr. wurden sie freigesprochen. [5]

 

Hätte Grässe hier nicht auf Akten des sächsischen Staatsarchivs zurückgegriffen, sondern die Geschichte wäre ihm mündlich von einem Dorfpfarrer zugetragen worden, so wäre der Hausdrachen des Ehepaars Kirsten vermutlich als vollends bewiesene Tatsache in seine Sagensammlung eingeganen. Die Umstände von Hexenprozesse wurden in der Volksüberlieferung immer fantastischer und die Argumentation der Anklage mit zusätzlichen (angeblichen) Beobachtungen und Erlärungen gestützt - getrieben möglicherweise auch durch nachträgliche Gewissensberuhigung, denn die Verurteilungen beruhten doch meist auf verläumderischen Anschuldigungen der Dorfgemeinschaft gegenüber unliebsamen Personen. Im Volksaberglauben entstand ein weithin tradiertes "Allgemeinwissen" über Hexen, das auch in die Geschichten über den Hausdrachen einfloss:

 

Einst fuhr der Füerdrake vor den Augen vieler Menschen im Dorfe Holtensen in den Schornstein eines Hauses hinein. Am andern Tage verkaufte die Frau des Hauses funfzig Pfund Butter und galt deshalb bei den Bewohnern des Dorfes allgemein für eine Hexe, die mit Stöpke in Verbindung stehe. [6]

 

Am Kirchweihsamstag in Neubäu sah man eine Weberin, die im Verdachte der Hexenkunst stand, den Drachen im Schwarzenwührberge bestellen. Kaum war sie zu Hause, so kam er in Gestalt einer rothen flügellosen Schlange so groß wie ein Wischbaum über den Kamin des Häuschens dieser Frau und fuhr sich ringelnd hinein. Nach langem Verweilen sah man ihn wieder herausfahren; er hatte ihr Schmalz zum Küchelbacken gebracht. Dieses Weib betete nie, machte kein Kreuz, konnte Niemanden in die Augen schauen, ward in der Beichte auch niemals losgesprochen. Sie ging nur Nachts um Futter. Immer verkaufte sie Schmalz, und hatte doch nur Eine Kuh. [7]

 


[1] Manfred Wilde. Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen. Böhlau Verlang, Köln 2003

[2] Johannes Dillinger: Money from the Spirit World: Treasure Spirits, Geldmännchen, Drache. In: Money in the German-speaking Lands. 2017

[3] Karl von Weber: Aus vier Jahrhunderten. Leipzig, 1861. N.F. Bd. 2, S. 326

[4] Karl von Weber: Aus vier Jahrhunderten. Leipzig, 1857. Bd. 1, S. 395

[5] Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Dresden, 1874. Band 1, S. 127

[6] Georg Schambach und Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen, 1855. S. 163

[7] Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. Augsburg 1857. Bd. 1, S. 395

 

Der HAusdrache in frühen Belegen

Frühe Quellen, insbesondere solche aus dem Mittelalter, sind hinsichtlich der dort beschriebenen mythologischen Wesen notorisch schwer zu interpretieren. Die früheste mir bekannte Textstelle, die man einem Hausdrachen assoziieren kann,  stammt aus dem Decretum des Burchard von Worms (entstanden zwischen 1012 und 1023), einer sehr umfangreichen Sammlung von Kirchennormen in 20 Büchern. Im sogenannten Bußbuch, das noch zahlreiche weitere Bezüge zu vorchristlichen Glaubensvorstellungen enthält, heißt es:

 

fecisti pueriles arcus parvulos et puerorum suturalia, et projecisti sive in cellarium sive in horreum tuum, ut satyri vel pilosi cum eis ibi jocarentur, ut tibi aliorum bona comportarent et inde ditior fieres? Si fecisti X dies i. p. e. a. penit. [1]

 

Hast du kleine Kinderschleifchen und Kinderschuhe [2] gemacht und sie entweder in deinen Keller oder in deine Scheune geworfen, damit die Satyrn oder die Haarigen dort damit spielen können, damit sie dir Güter anderer Leute bringen, und du dadurch reicher wirst? Wenn ja, musst du zehn Tage bei Wasser und Brot Buße tun.

 

Abgesehen von der etwas seltsamen Wesensbezeichnung, die ganz offensichtlich Burchards christlich geprägten Weltbild [3] geschuldet ist, werden drei wesentliche Merkmale genannt:

  1. Es handelt sich um ein Wesen, dass im Haus wohnt oder zumindest ins Haus kommt (d.h. ein Hausgeist)
  2. Der Hausherr beschenkt den Hausgeist mit Dingen zum Spielen
  3. Der Hausgeist bringt dem Hausherrn im Gegenzug gestohlene Güter, die seinen Reichtum mehren.

Die ersten beiden Elemente sind charakteristisch für Hauskobold-Erzählungen, wobei  das Schenken von Kleidung dienstbare Hausgeister auch vertreiben kann (siehe das sog. "Ausgelohnt" - Erzählmotiv). Das dritte Element ist quasi die Signatureigenschaft des Hausdrachen. Als weiteren frühen Beleg könnte man vielleicht noch die Hamburger Kirchengeschichte (Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, um 1075) des Adam von Bremen heranziehen, der von Drachen aus dem Baltikum berichtet:

 

Außerdem ist uns erzählt worden, daß noch mehrere andere Inseln in jenem Meere seien, deren eine große Aestland heißt. Sie ist nicht kleiner als die vorerwähnte. Auch die Bewohner dieser Inseln kennen den Gott der Christen durchaus nicht; sie verehren Drachen und Vögel, denen sie auch lebendige Menschen opfern, ... [4]

 

Ob hier wirklich der feurige Hausdrache adressiert wird, ist nicht klar. Möglicherweise hat Adam auch die klassischen Drachen im Sinn gehabt, zu denen ein Menschenopfer thematisch besser passen würde. Andererseits lassen die Verbindung "Drachen - Vogel" sowie vor allem der Bezug zu Estland aufhorchen. Der Gelehrte Sebastian Münster (1488 - 1552) beklagt sich nämlich in seiner berühmten "Kosmographie" im Kapitel über Livland (eine historische Landschaftsbezeichung, die das heutige Estland und Teile Lettlands umfasst) über die ungläubigen Einwohner dieser Gegend, von denen sich manche in Werwölfe verwandeln könnten, und führt weiter aus:

 

Es erscheinen in disem land zum offtern mal des nachts fliegende feurige Schlangen und andere teüfels gespanst ... [5]

 

In den frühen Auflagen der Kosmographie (Erstausgabe 1544) ist diese Passage übrigens noch nicht enthalten. Möglicherweise nimmt diese in späteren Fassungen ergänzte Stelle Bezug auf eine sehr ausführliche Schilderung der vorchristlichen Bräuche im Baltikum, die im Jahr 1551 erschien. Thomas Horner, Geheimrat in Diensten des Herzogs Gotthart von Kurland, veröffentlichte in Königsberg einen Artikel des Pfarrers und Druckers Jan Malecki mit dem Titel "Livoniae historia de sacrificiis et idolatria veterum Borussorum, Livonum, aliarumque uicinarum gentium"  (über die Opfer und den Götzendienst der alten Preussen, Liven und anderer benachbarten Völkerschaften) -  ohne Wissen des Autors allerdings, und überdies schlecht redigiert. Von diesem Umstand einmal abgesehen, liefert uns der Text von Malecki eine frühe Beschreibung vorchristlicher  Rituale aus Livland. Neben einem Bericht über die unterirdischen Erdmännchen (..."Barstuccas", von den Deutschen "Erdmenlen" genannt...) gibt er auch Folgendes zum Besten:

 

Eadem gentes colunt spiritus quosdam visibiles, qui lingua ritenica Coltky, Graeca Cobili, Germanica Coboldi, vocantur. Hos Spiritus credunt habitare in occultis adium locis, vel in congerie lignorum: nutriuntque eos lautè omni ciborum genere, eò quod afferre soleant nutritoribus suis frumentum ex aliensis horreus furto ablatum. [6]

 

Dieselben Völker verehren bestimmte sichtbare Geister, die in der Ruthenischen Sprache Coltky, Griechisch Cobili, Deutsch Coboldi genannt werden. Sie glauben, dass diese Geister an versteckten Orten auf dem Dachboden oder in einem Holzstapeln wohnen, und sie ernähren sie mit allen möglichen Nahrungsmitteln, wie auch mit dem, was sie ihren Ernährern zu bringen pflegen: nämlich Mais, der aus dem Kornspeicher eines anderen gestohlen wurde.

 

Auch Martin Luther, einem Zeitgenossen von Sebastian Münster, war der diebische Drache bekannt. In einer 1529 - 1530 geschriebenen Auslegung des neuen Testaments nimmt er auf ihn Bezug, fügt allerdings blaue Flecke (Blutergüsse?)  als eine neue Komponente hinzu, die ich so in keinem anderen Text  gefunden habe:

 

Drachenbräute und Drachenbräutigam, die holen Käse, Butter, Korn; es lohnt aber nicht gut. Aus der Vernunft kann man nicht genug beurtheilen, wie weit sich die Macht des Satans erstrecke. Diese Drachenbräute stechen braun und blau, als ob man geschlagen wäre. [7]

 


[1] Burchard von Worms: Decretorum libri XX. Köln 1548. Lib. 19, (Bußbuch, auch Corrector genannt), Canon 5 Nr. 103.

[2] Die Deutung von suturalia als Kinderschuhe ist nicht völlig eindeutig. Erstens kommen in den Handschriften verschiedene Schreibweisen vor (sutularia, sitularia, scutularia), zweitens muss man der Interpretation als Variante von subtalaria folgen, für das eine Übersetzung "calcei" (Schuhe) existiert. Alternativ könnte man auch "Lumpen" i.S.v. alter Kinderkleidung übersetzen.

[3] Die pilosi (haarige Geister) kommen aus Jesaja (13,21 und 34,14); in der modernen deutschen Bibelübersetzung heißen sie Bocksgeister. Die Satyrn gehen natürlich auf die griechische Mythologie zurück, sind aber wesensgleich zu denken. In der englischen Übersetzung heißen die pilosi aus Jesaja denn auch "Satyr".

[4] Adam von Bremen: Hamburgische Kirchengeschichte.Leipzig: Dyk'sche Buchhandlung, 1893, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource. S. 212

[5] Sebastian Münster: Cosmographia ("Cosmographei"). Petri, Basel, 1561. Ausgabe Bayr. Staatsbibliothek. Buch III, S. 1166

[6] Jan Malecki: Livoniae historia de sacrificiis et idolatria veterum Borussorum, Livonum, aliarumque uicinarum gentium. In: Thoma Hornero, Livoniae Historia In Compendium ex Annalibus contracta. Johannes Lufft, Königsberg, 1551

[7]  Walch, Johann Georg. Martin Luthers sämtliche Schriften. Halle, 1743. Band 9, Epist. 1. St. Joh., S. 1185.

 

Frühneuzeitliche Wissenschaftliche Betrachtungen

Bartholomäus Keckermann
Bartholomäus Keckermann

Bartholomäus Keckermann (1572 - 1609), Theologe und Philosoph aus Danzig, versuchte sich an einer systematisch-rationalen Synthese seiner beiden Forschungsgebiete. Im Gegensatz zur traditionellen Scholastik war er nämlich bestrebt, Naturphänomene nicht mit theologischen Fragestellungen zu vermischen; mit seiner sogenannten "analytische Methode" gilt er als ein Vorreiter der modernen empirischen Wissenschaft. In seinem Buch "Systema physicum" geht er im Abschnitt über leuchtende Himmelserscheinungen recht ausführlich auf den fliegenden Drachen (Draco volans) ein [1]. Dabei unterscheidet er zwischen physischen Kennzeichen der Wesen und offensichtlich übernatürlichen oder magischen Komponenten. Seine These ist, dass man die angeblichen Drachensichtungen mit dem Feuer und Rauch von herabfallenden Meteoriten  erklären könne:

 

draco volans est meteoron igneum infumi aeris ex fumo crassiori simul et subtiliori sic intorto et oberante ut draconis volantis figuram videatur reprasentare

Der fliegende Drache ist ein feuriger Meteor aus dicker rauchender  Luft, deren Bestandteile sich so verwirbeln, dass sie die Form eines fliegenden Drachen annehmen.

 

Er beleuchtet auch die zahlreichen magischen Aspekte des Drachens sehr ausführlich; ausgehend von Hinweisen in der Bibel bis zu den Analysen von Johann Weyer [2] sowie zeitgenössischem Abergaluben. Dabei fallen ihm die zahlreichen Überschneidungen zu anderen phantastischen Wesen der Volksmythologie auf, etwa den Elben ("Elvarum") aus der "Beschreibung der Völker des Nordens" von Olaus Magnus [3]. Und so ordnet Keckermann den Drachen aus dämonologischer Sicht den deutschen Alben zu und identifiziert ihn als Alf. Um Komgruenz mit seiner weltlich-wissenschafliche Meteorhypothese herzustellen, erklärt er solche Himmelserscheinungen als Produkte des Teufels:

 

Quando ergo Diabolus eiusmodi halituum & meteori figuram affumit, persuasum est eius coniuratis Strygibus & lamiis cum eac forma apportere thesauros, frumenta, & alias facultates, vnde & Germani hec Spectrum vocant, den Alff.

 

Wenn der Teufel also solche rauchenden Meteore ausstößt, dann befiehlt er damit seinen untergebenen Hexen und Lamien, Schätze, Getreide und andere  Dinge heranzuschaffen, weshalb die Deutschen dieses Gespenst auch den Alf nennen.


[1] B. Keckermann: Systema physicum (Erstausgabe 1612). Nachdruck 3. Aufl. 1723. Cap. IV, S. 652ff: De Meteoris ignitis infimæ regionis aeris , videli cet Dracone volante, igne fatuo, & igne lambente. 

[2] Johann Weyer: De praestigiis daemonum, et incantationibus, ac veneficiis. Libri V. Erstausgabe Basel 1563

[3] Olaus Magnus: Historia de gentibus septentrionalibus. Rom, 1555. Lib II, Cap. X, S. 112: De Eluarum, id est, spectrorum nocturna chorea.

 

 

Himmelsfeuer

Keckermanns Erklärung, ein Drachens wäre feurige Luft, war allerdings weder neu oder originell, sondern entsprach der gängigen Auffassung seiner Zeit - sowohl unter Gelehrten als auch im Volk [1]. In der Wunderzeichen- und Endzeitliteratur der Renaissance finden sich in mehreren Quellen die eindrucksvollen Beschreibungen eines Meteoriteneinschlags im Jahr 1543 beim Dorf Zaisenhausen in Baden-Württemberg. Eine feurige Himmelserscheinung mit Schweif wurde gesichtet, die beim Niedergehen einen Streifen eines Gerstenfeldes verbrannte. Nachfolgend ist ein eine zeitgenössische Schilderung des Ereignisses aus der Flugblattsammelung Wickiana von Johann Jakob Wick wiedergegeben (sogar mit Bild, s. rechts):

 

So hatt sich inn dem Jahr / als man hatt zelt / Tausent / fünffhundert ; unnd drey und vierzig / Auff den vierdten tag May / zwischen vier und fünff um gegen der nacht / in ainem Dorff / zwu meil von Pforzhaim / Zessenhausen genandt / am himel gesehen worden / ain Stern mit ainem langen Schwanz / inn der mit so groß wie ain Mühlstain / Auff das hat sich von dem Himmel herabgelassen ain feür / die Bauren sagen / es sey ain feüriger Drack gewesen / welches nur erhalatio ist / in ainen fliessenden Bach gelassen / und denselbigen Bach gar außgetrücknet / uns sich widerumb auß dem Bach gethon / mit einer grausamen ungestüme/ und auff ain Gersten acker gelassen / und denselbigen acker fünffzehen schuch weyt sauber verbrendt / und darnach hat es sich wider uber sich gezogen dem Stern zu / und mit ainander verschwunden. [2]

 

Damit überrascht es nicht, dass Sternschnuppen und andere leuchtende Erscheinungen am Himmel auch in den Sagensammlungen des 18. und 19.  Jahrhunderts mit dem Hausdrachen in Verbindung gebracht werden. Der bereits zitierte Edmund Veckenstedt berichtet aus dem Wendland:

 

Wenn eine Sternschnuppe auf ein Haus niederfällt, so sagt man, die Leute des Hauses haben den Drachen. Hatte die Sternschnuppe als Schweif einen fahlen Schimmer, so sagt man, es sei ein Gelddrache herniedergefahren; war aber der Schimmer ein bläulicher, so hatte man einen Getreidedrachen gesehen. [3]

 

 Und der ebenfalls schon genannte Karl Müllenhoff erzählt die folgende Begebenheit vom Ratzeburger See in Schleswig-Holstein:

 

Vor zwei oder drei Jahren sah man in Pogetz, Sarau, Buchholz und Einhaus am Ratzeburger See in einer und derselben Nacht viele feurige Drachen in der Luft schweben. [4]

Die Interpretation von Drachen als leuchtenden Himmelserscheinungen sowie Meteoriteneinschlägen ist möglicherweise auch eine Erklärung für die zuvor erwähnte Eigenschaft von Hausdrachen, ihre Beute unter bestimmten Bedingungen fallen zu lassen. Im Jahr 1420 wurde vom Bauern  Stämpfli nahe des Pilatusbergs im Kanton Luzern angeblich ein feuriger Drachen gesichtet, der einen apfelgroßen Gegenstand fallen ließ. Die Begebenheit wurde vielfach kolportiert; die nebenstehende Abbidung entstammt einem Bericht aus dem Jahr 1661. [5] Der kugelartige Gegenstand (unten rechts im Bild), heute als "Luzerner Drachenstein" bekannt, ging zunächst als hochbezahltes Wunderheilmittel durch mehrere Hände und ist heute im Natur-Museum Luzern zu besichtigen. Die ursprüngliche Theorie, es handele sich um einen echten Meteoriten, konnte inzwischen widerlegt werden. Der Drachenstein ist ein Artefakt aus gebranntem Ton, dass von unbekannter Hand mit einigen Mustern verziert wurde die "Drachenblut" andeuten sollten.

Schon mehr als Sage denn als historischen Bericht formuliert finden wir die Geschichte vom Drachenstein im Deutschen Sagenbuch von Ludwig Bechstein. [6] Zur Popularisierung beigetragen hat sicher der Umstand, dass vom Luzerner Hausberg Pilatus und der der Region um den Vierwaldstättersee seit jeher wurndersame Dinge berichtet wurden. Athanasius Kirchner berichtet noch Ende des 17. Jahrhunderts von Höhlen und Grotten im Pilatus, in denen Erdmännle gewohnt haben sollen. [7] Und aus der Chronik des Schweizers Petermann Etterlin von 1507 erfahren wir von einer Begebenheit im Jahr 1499, "wie ein Track zuo Luzern under der bruck in der Rüß schwümende, deßgleichen ein Comet der figur eines Ochsen kopff habend, gesechen worden ist." [8]

 

Schon im 16. Jahrhundert waren also Kernelemente der späteren Hausdrachensagen entwickelt: der Ochsenkopf als Kometensymbol, ein fliegender Drachen als feurige Himmelerscheinungen und die der wertvolle Dinge fallen lässt. Die attraktive Rahmenhandlung des Luzerner Drachnsteins war ohne Zweifel geeignet, um eine Legendebildung zu initiieren, an deren Ende die magische Beschwörung des diebischen Hausdrachens als Erzählmotiv etabliert wurde.


[1]  Alan K. Brown: The Firedrake in Beowulf. Neophilologus Vol. 64, S. 439–460.

[2] Jakob Cammerlander: Ain wunderbarlich erschrockenlich gesicht...  Blatt Ms F 24, 434 aus der Sammlung von Johann Jakob Wick. Zentralbibliothek Zürich, PAS II 12/32. Ein etwas kürzerer Bericht über das Ereignis, aber auch mit Drachen, findet sich in: Jacobus Fincelius, Wunderzeichen. Jena, 1556.

[3] Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche (1880). Kap. XL, S. 386

[4] Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. 1845. S. 222.

[5] Johann Leopold Cysat: Beschreibung dess berühmbten Lucerner- oder 4. Waldstaetten Sees (...).  Luzern, David Hautten, 1661. DOI https://doi.org/10.3931/e-rara-16695

[6] Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Leipzig, 1930. S. 25-26

[7] Athanasius Kirchner: Mundus subterraneus Lib. VIII (1678). Cap II, S. 115

[8] Petermann Etterlin: Kronika von der loblichen Eidgnoschaft. Basel, 1752 (Erstdruck 1507). S. 244

 

Ein slawischer Drache

Eine quantitative Betrachtung der Drachensagen nach ihrer geographische Herkunft zeigt eine Häufung im Grenzbereich zu den ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches, d.h. an der Oder-Neiße-Grenze und längs der Elbe in Sachsen und nach Tschechien hin. Auch der Bericht von
Jan Malecki aus dem 16. Jahrhundert, der den diebischen Drachen im alten livländischen Aberglauben verortet, passt in dieses Bild. Könnte es sich also um einen ursprünglich slawischen Mythos handeln? Immerhin existiert ein WIKIPEDIA Artikel namens "Slawischer Drache", und  darin wird auch auf unseren Hausdrachen verwiesen:

 

Bei den Sorben war der Drache ein gutes Tier. Er wurde plon genannt und konnte als Gelddrache unverhofft Reichtum ins Haus bringen, wenn man ihn ausreichend mit Hirsebrei fütterte. Die Sage vom Gelddrachen war bis in den äußersten Westen des ehemaligen Gebietes der surbi verbreitet.

 

Die Sorben zählen zu einer Gruppe slawischer Stämme, die inmitten des weitgehend christianisierten Zentraleuropas des 10. Jahrhunderts siedelten und bis heute ihre Traditionen bewahrt haben. Tatsächlich findet man in den sorbische Gebieten im Spreewald und in der Lausitz recht viele Legenden über den diebischen Plon. Sehr ähnliche Geschichten erzählte man im 17. Jahrhundert auch in den Gebieten des heutigen Estland und Lettland von einem Wesen namens Pukis. Paul Einhorn, 1636 zum Superintendent von Kurland (heute Nordwest-Lettland) ernannt, trug in seinem Büchlein "Reformatio gentis letticae in ducatu Curlandiae" die wesentlichen Eigenschaften dieses "Heidengottes" zusammen. Unter anderem heißt es da:

 

Einen solchen bösen und abschewlichen Abgott des Reichthumb hat auch diese Nation gehabt, welchen sie auff ihre Sprache Puke geheissen, die Teutschen, weil sie ihn sonst nicht wissen zu nennen, heissen ihn den Drachen, und wird derselbe noch heute zu Tage von vielen gehalten, unnd soll er denen die ihn bey sich halten allerley Getreyde und Güter zubringen, welche er denen, die es nicht mit ihm halten, stehlen, und denselben denselben die ihn bey sich habenzubringen sol. [1]

 

Etwa 250 Jahr später, im Jahr 1891, trägt Robert Auning in seinem Werk "Über den lettischen Drachenmythus (Puhkis)" zahlreiche Berichte über dieses Wesen zusammen und kommt aus sprachwissenschaftlichen Erwägungen zu dem Schluss, dass...

 

nicht die indogermanischen Letten, Litauer und Germanen den Puhkis-Mythus von den turanischen Esten überkommen haben, sondern daß vielmehr die Esten den Namen des Puhkis, wenn auch vielleicht nicht den Mythus selbst, von ihren indogermanischen Nachbaren entlehnt haben. [2]

 

Auch Leopold von Schröder bringt in seiner 1906 erschienen Schrift "Germanische Elben und Götter beim Estenvolke" Bedenken gegen einen slawischen Ursprung des feurigen Hausdrachen zum Ausdruck. Zwar kenne man in weiten Bereichen Estlands und Lettlands den Pukis, so Schröder, jedoch schienen fast alle überlieferten Begebenheiten auf Riga zu weisen, und das wäre gerade der Ort der größten Ansiedlung von Nord- und Niederdeutschen im baltischen Raum. Tatsächlich kennt man aus Norddeutschland, vor allem aus Niedersachen, zahlreiche Geschichten vom diebischen Drachen. Schröder versucht sich an einer vegleichenden Analyse von finnischen, baltischen und niederdeutschen Sagen und kommt letztendlich zum Schluß, dass es sich "wohl um sehr alte, um die Ostsee herum bewegende Folkklore-Bildungen handelt", die "ohne Zweifel sehr viel älter sind als der Ansiedlung der Niederdeutschen in den sogenannten Ostseeprovinzen." [3]

 

Damit schwer vereinbar scheint allerdings der mittelosteuropäische Verbreitungsschwerpunkt. Schröder selbst weist darauf hin:

 

So trägt bei den Weißrussen der Hausgeist Zmok seinem Herrn Geld zu, versorgt die Küche mit Milch, macht den Acker fruchtbar. Daher muß der Herr ihn pflegen, sonst wird er zornig und verbrennt ihm das Haus. Auch die Bulgaren haben etwas Ahnliches in ihrem smej-smok. [4]

 

Auch weiter nach Westen, in Tschechien, kennt man den Hausdrachen, wie uns Jakob Grimm unterrichtet:

 

Nach Jungmann ist "zmek" ausser Drache auch ein Geist, der sich in Gestalt eines nassen Vogels, meist eines Hühnleins darstellt und den Leuten Geld zuträgt. [5]

 

Und Ludwig Bechstein identifiziert einen benachbarten mittelostdeutschen Hotspot:

 

In der Saalfelder Gegend wie im nachbarlichen Orlagau und im Vogtlande, aber auch in Thüringen und weit nach Franken hinein ist der Glaube an Drachen verbreitet, welche den Teufelsbündnern Reichtum zutragen. [6]

 

Im Südwesten Deutschlands wird man dagegen selten fündig. Die Chronik der Grafen von Zimmern (Schloss Meßkirch, Baden-Württemberg) aus dem 16. Jahrhundert, die eine Reihe von Erdmännle-Sagen enthält, kennt beispielsweise Drachen nur als klassische Ungeheuer (auch wenn ein Negativbefund  natürlich ein schwacher Beleg ist).


[1] Paul Einhorn: Reformatio gentis letticae in ducatu Curlandiae. 1626. Kap. 5, S. 58. Nachgedruckt in: Über die  religiösen Vorstellungen der alten Völker in Liv- und Estland. Hummels, Riga, 1857

[2] Robert Auning: Über den lettischen Drachenmythus (Puhkis). 1891. S. 110

[3] Leopold von Schröder: Germanische Elben und Götter beim Estenvolke. Wien, 1906. S. 57

[4] s.o., S. 38

[5] Jakob Grimm: Deutsche Mythologie.  Grimm bezieht sich hier auf das Wörterbuch "Slownjk česko-německý" des tschechischen Sprachwissenschaftlers Josef Jungmann

[6] Ludwig Bechstein: deutsches Sagenbuch. Hendel Verlag,  Leipzig 1930. Nr. 545 Milch- und Gelddrachen.

 

Oder doch ein Westprodukt?

Wie schon Eingangs erwähnt, findet man Sagen vom diebischen Drachen bis nach Österreich und in die Schweiz hinein, wenn auch dort zahlenmäßig seltener und machmal ganz offensichtlich entstellt. Auch die dänische Folklore kennt fliegende Drachen, die einen Feuerschweif nach sich ziehen oder Gold fallen lassen [1,2]. Außerhalb des mitteleuropäischen Kulturraums scheinen Hausdrachen dagegen weniger verbreitet zu sein.  Nach Süden hin (Frankreich, Italien) gibt es kaum Belege. Aber für die britischen Inseln nennt ein Wörterbuch von 1616 mit dem Fire-drake (Feuerdrachen) ein zumindest in einigegen Aspekten sehr ähnliches Wesen:

 

Fire-drake: A fire sometime seen, flying in the night, like a Dragon. Common people think it a spirit, that keepeth some treasure hid [3]

 

In der Schreibweise fyrene dracan ist dieses Wesen in der englischen Literatur bis in 6. Jahrhundert zurückzuverfolgen [4]. In der Sammlung "Folk-lore and folk-stories of Wales" von 1909 wird behauptet, ein Schätze oder Lebensmittel bringender Drache gehörte zu den ältesten Formen des walisischen Aberglaubens ("one of the oldest was the belief...") [5]. Allerdings liefert die Autorin jenseits dieser Behauptung keine konkrete Belege. Immerhin scheint auch ein keltischer Ursprung des feurigen Drachens denkbar;  freilich ohne den Aspekt eines ans Haus oder einen "Besitzer"  gebundenen Wesens, das gefüttert werden will. Berichte über solche Hausdrachen haben ihren Verbreitungsschwerpunkt klar in Mittel- oder Mittelosteuropa.

 

Allerdings ist eine rein quantitative Betrachtung von Überlieferungen kein geeignetes Instrument, um die Entstehungsgeschichte des Hausdrachens zu untersuchen. Die vergleichsweise späte Christianiserung der slawischen Stämme im Ostseeraum und an der Elbe könnnte dazu geführt haben, dass im Osten überproportional viele "abergläubische Bräuche" zusammengetragen wurden - erst von eifrigen Missionaren und später von den genauso eifrigen (und einem gewissen Exotismus frönenden) Sagensammlern. Ob hier also ein Kulturtransfer von Osten nach Westen vorliegt, oder ob vielleicht der Drache doch im Zuge der deutschen Ostsiedlung im Mittelalter aus dem Westen in den Osten kam, ist daraus nicht abzuleiten. Ohne eine genauere Untersuchung (man könnte sich vielleicht mal an einer phylogeographischen Analyse der Merkmale versuchen) kommt man bei der Frage nach dem Ursprung des Hausdrachen-Mythos wohl zu keinem belastbaren Ergebnis. Auffällig ist immerhin der Umstand, dass sich das Verbreitungsgebiet im Nordosten recht gut mit dem Deutschordensstaat bzw. dem späteren Preußen deckt.


[1] Alan K. Brown: The Firedrake in Beowulf. Neophilologus Vol. 64, S. 439–460.

[2] Carl Wilhelm von Sydow: Draken som skattevaktare (Drachen als Schatzhüter). Kopenhagen, 1917. S. 113-115.

[3] John Bullokar: An English Expositor" (Erstauflage London, 1616). FI - Fire-drake.

[4] Siehe [1], S. 450.

[5] Marie Trevelyan: Folk-lore and Folk-stories of Wales. Elliot Stock, 1909. S. 172

 

Das Merkmalsmosaik des Hausdrachens

Abschließend wollen wir noch die Merkmalsüberlappungen zwischen dem Hausdrachen, dem Drachen als Ungeheuer, sowie anderen mythologischen Wesen etwas näher beleuchten. Wie wir bereits gesehen haben, ist der feurige Hausdrachen ist ein mehrschichtiges Kompositum. Vielleicht deshalb hat Jakob Grimm diesem Wesen in der "Deutschen Mythologie" bemerkenswert wenig Aufmerksamkeit und bearbeiterische Sorgfalt geschenkt. Grimm befasst sich mit Hausdrachen auch nicht etwa im Kapitel über Wichte und Elben, sondern im Rahmen eines Exkurses im Zusammenhang mit dem Teufel. Seine Zusammenfassung ist zudem ein kunterbuntes Sammelsurium mit Versatzstücken aus ganz erschiedenen Quellen:

 

Wenn von dem teufel erzählt wird, der seinen freunden und günstlingen geld oder getraide zuträgt, so nähert er sich gutmütigen hausgeistern oder elben, und hier ist auch nie von verschreibung noch von gottesverleugnung die rede. Meistens sieht man ihn als feurigen drachen durch die luft und in schornsteine fahren. Die Esten unterscheiden rothe und dunkle wolkenstreifen, ebenso die Litthauer den rothen und blauen alb. Die Lausitzer erzählen von einem korndrachen (zitny smij), der seinem freunde den boden füllt, von einem milchdrachen (mlokowy smij), der für der wirtin milchkeller sorgt, und von einem reichthum bringenden gelddrachen (penezny smij). Die art und weise seiner habhaft zu werden ist folgende: man findet heute irgendwo einen dreier liegen, nimmt man ihn auf, so liegt morgen ein sechser an derselben stelle, und so steigt nach der jedesmaligen aufnahme der werth des gefundenen bis zum thaler. Wer nun geldgierig auch den thaler greift, in dessen haus findet sich der drache ein. er verlangt höfliche behandlung und gutes futter (wie ein hausgeist); versehen es wirt oder wirtin, so steckt er ihnen das haus über dem kopf an. Ihn los zu werden ist einziges mittel, jenen thaler zu verkaufen, allein unter seinem werthe, so daß es der käufer merke und stillschweigends einwillige. [1]

 

Im Widerpruch zu seiner eigenen Kategorisierung verweist Grimm gleich im ersten Satz seiner Schilderung auf die Verwandtschaft des Hausdrachens zu den Elben und Hausgeistern, auf den Teufel nimmt er dagegen kaum Bezug. Die letzte Passage zum Erwerb und Verkauf des Drachens scheint mir von Grimm etwas übermäßig gewichtet zu sein; möglicherweise wollte er so noch ein teuflisches Element ins Spiel bringen. In Wahrheit gibt es nur sehr wenige Belege, die den Drachen in die erweiterte Alraun-Verwandtschaft stellen.


[1] Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. Online: Projekt Gutenberg, Cap. XXXIII. Teufel.

 

Elben und Kobolde: die magische seite

 Schon Bartholomäus Keckermann war die Verwandschaft des Drachens mit den Elben aufgefallen (s. oben). Er verrät sogar den Zauberspruch, den die Hexen verwenden, um den Alf zu beschwören:

 

Ich beschwere dich Alff, Alff
Der du Augen Hast wie ein Kalff
Ein Rucken wie ein Deigtrog
Weiß mir deines Herren Hoff. [1]

 

Dieser Spruch verweist einerseits klar auf den Hausdrachen: der Kalbskopf, die Möglichkeit der Beschwörung und der Bezug auf einen Besitzer. Ein hohler Rücken sowie der Name "Alf" sind wiederum klassische Merkmale von Elben.

 

Natürlich findet man  solche Merkmalsvermischung auch bei Sagen über Zwerge, Kobolde, Nachtmahre, Elben, Schrate, Bilwisse etc. Dennoch hat sich der Hausdrache viel ausgeprägter zu einem Kompositwesen entwickelt. In der von Adalbert Kuhn und Wilhem Schwartz veröffentlicheten Sammlung  norddeutscher Sagen findet man eine Schilderung aus der Gegend um Schwedt, in welcher der Drache als Kobold bezeichnet wird und zudem eine Hauskobold-typische rote Kleidung trägt. Dazu gesellen sich noch Elemente von Krankheitsdämonen (Ausschlag), Totenanzeigern und Unglücksbringern, die man sonst eher von von Trutten, Nachtalpen, Aufhockern und anderen malevolenten Wesenheiten kennt:

 

In Nieder-Kränig bei Schwedt hatte eine Frau einen Kobold, der saß oben auf dem Boden in einer Tonne, wo ihn ein Knecht einmal zufällig sah, und trug eine rothe Jacke und rothes Käppchen. Gewöhnlich sah man ihn aber in anderer Gestalt, er zog nämlich Abends als grauer Streifen durch die Luft und dann brachte er Getreide, oder als ein rother Feuerklumpen, dann brachte er seiner Herrin Geld. Man erzählte sich auch, die Frau füttre ihn oft aus eignem Munde, wobei er sie zuweilen in die Lippe biß, woher es kam, daß sie häufig einen bösen Ausschlag an derselben hatte. Als die Frau endlich vor einiger Zeit starb und ihre Leiche auf den Hausflur gesetzt wurde, da flog plötzlich eine Henne auf dieselbe und man mußte der Todten nur eilig ein Tuch über's Gesicht decken, sonst hätte das Thier ihr die Augen ausgehackt; denn es war der Kobold, der jetzt auf einmal als Henne erschien. Dieser haben die Erben deshalb auf jede Weise sich zu entledigen versucht, was ihnen auch endlich geglückt ist, allein seitdem ist alles Glück aus dem Hause gewichen und ein Unglück rasch dem andern gefolgt, und erst vor wenigen Tagen ist ihnen eine prächtige Kuh gefallen. [2]

 

Andere Gewährsleute hielten Drachen und Kobolde offenbar für unterschiedliche Wesen, wie eine weitere von Adalbert Kuhn überlieferte Mitteilung zeigt:

 

Der drâk führt als Vogel Schätze durch die Luft; wer ihn besitzt, bei dem liegt er als Kalb in einer Tonne; der kobold aber striegelt die Pferde, hilft tragen, wenn der Wagen schwer geht und besorgt überhaupt alles was zum Stall und Fuhrwerk gehört. [3]

 

Max Toeppen zufolge wurde der Drache in Ostpreußen überwiegend Kobold genannt; angeblich sogar in slawisch klingenden Variationen, u.a.  Chobold, Kolbuk, Kolblick oder Kaulbuk. In Livland wurden Kobolde Jan Malecki zufolge schon im 16. Jahrhundert "coltky" genannt. Außerdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Drachen bezüglich seines Verhaltens im Haus oder in der Scheune kaum von einem Hauskobold zu unterscheiden ist. Lässt man das Fliegen, das Feuerspeien und das Diebesgut einmal beiseite, so bleibt ein Hausgeist übrig, der in der Dachkammer sitzt und mit Hirsebrei gefüttert wird. Auffällig ist vor allem die Ähnlichkeit mit der Schilderung eines livländischen Erdgottes namens Puschkait. Im sogenannten "Sudauerbüchlein", das in die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert wird, heißt es dazu unter anderem:

 

Dieser Gott (Puschkaytus) hat seine Wohnung unter dem heiligen Holtze Holunderbaum, das Holtz halten sie groß heilig, da tragen sie Brod und Bier, auch andere Speise unter dem Baum und bitten ihn, daß er seine Marckopolle wolle erleuchten, und sein Perstucken, kleine Männlein in ihre Scheune senden, daß sie Getreyd darein bringen und was sie darein gebracht haben wollen behüten. Auf die Nacht setzen sie einen Tisch in die Scheunen, vier Brod, Gesottenes und Gebratenes, Käse, Butter darauf und rufen sie zu Gaste... [4]

 

Das geschilderte Speiseopfer erinnert an die römischen Schutzgeister des Hauses und der Speisekammer, die Penaten (nach lat. penus, Vorratskammer). Wie Claude Lecouteux nachgewiesen hat, kam es in der Folgezeit zu einer Vermischung von römischen und keltisch-germanischen Bräuchen, bei der Speise- und Kleideropfer in unterschiedliche Richtungen tradiert wurden [5]. Eine frühe Form ist das sog. "Mahl der Feen", das aus einer romanischen Tradition kommt und in der mittel- und mittelosteuropäischen Weiterentwicklung mit Hausgeistern, Kobolden, Zwergen und Alben/Elben angereichert wurde.

 

Die o.g. "Perstucken" bringen noch eine zusätzliche Komponente ein: sie waren offenbar dafür zuständig, dass die Getreidevorräte nicht nur beschützt sondern auch aufgefüllt wurden. Aus dieser sicherlich im bäuerlich-ländlichen Raum entstandenen Vorstellung von Getreidebringern ist es nicht weit zur Entstehung eines  Wesens, das mit der Zulieferung von Geld, Gold oder anderen Wertsachen auch außerhalb der landwirtschaftlichen Bereiches wirken konnte.   


[1] B. Keckermann: Systema physicum (Erstausgabe 1612). Nachdruck 3. Aufl. 1723. Cap. IV, S. 652ff: De Meteoris ignitis infimæ regionis aeris , videli cet Dracone volante, igne fatuo, & igne lambente.

[2] Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848. Teil A: Sagen Nr. 48: Kobold als Henne

[3] s.o., Teil C: Gebräuche und Aberglauben, 16. Dråk, kobold, 210.

[4]  Hieronymus Meletius: Warhafftige beschreibung der Sudawen auff Samlandt, sambt iren Bock heyligen unnd Ceremonien. 1741.  Anmerkung: Das Entstehungsjahr und der Autor sind unbekannt. Zugeschrieben wird es meist Hieronymus Malecki oder seinem Vater, dem oben genannten  Jan Malecki.  Entstanden ist der Text wohl um 1525, gedruckt jedoch erst im 18 Jhd.

[5] Claude Lecouteux: Romanisch-germanische Kulturberührungen am Beispiel des Mahls der Feen. Mediaevistik. 1988. Vol. 1, S. 87-99

 

Flug und Feuer: griechisch-römische Fabelwesen

Dem Namen nach gehört der Hausdrache zu einer illustren Gesellschaft von Fabelwesen. In der griechisch-römischen sowie der darauf fußenden christlichen Mythologie umfasst die Bezeichnung Drache sowohl kriechende Wesen wie Schlangen bzw.  "Würmer" (z.B. Lindwurm) als auch verschiedene Mischwesen (z. B. Basilisk) sowie feuerspeiende fliegende Ungeheuer. Philip J.Senter und Koautoren haben herausgearbeitet, dass man bei Drachen zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer kirchlichen Entwicklungslinie unterscheiden muss. Etwas verkürzt zusammengefasst ist "Drachen" (griechisch δράκων, drakon) in der naturwissenschaftlicher Linie, ausgehend von Aristoteles über Plinius und Solinus, eine Bezeichnung für eine gewöhnliche Schlange. Der Kirchenvater Augustinus (354 - 430) etablierte jedoch eine zweite Interpretationslinie, indem er Drachen als riesige Höhlenbewohner charakterisierte, die zudem durch die Luft fliegen:

 

Dracones circa aquam versantur, de speluncis procedunt, feruntur in aera; concitatur propter eos aer: magna quaedam sunt animantia dracones, maiora non sunt super terram. Propterea inde coepit dicere: Dracones et omnes abyssi. Sunt autem speluncae aquarum latentium, unde fontes, unde flumina procedunt; et alia procedunt, ut fluant super terram, alia occulte subter eunt: et totum hoc, atque omnis ista humida natura aquarum, simul cum mari et isto infimo aere, abyssus vel abyssi vocantur, ubi vivunt dracones et laudant Deum. Quid? putamus quia choros faciunt dracones, et laudant Deum? Absit. Sed vos considerantes dracones, attendite artificem draconum, creatorem draconum; et cum miramini dracones, et dicitis: Magnus Deus qui haec fecit, dracones laudant Deum de vocibus vestris: Dracones et omnes abyssi. [1]

 

Drachen leben über dem Wasser, kommen aus Höhlen, fliegen durch die Luft; die Luft wird von ihnen in Bewegung gesetzt: Drachen sind eine riesige Art von Lebewesen, größere gibt es nicht auf der Erde. Deshalb beginnt er mit ihnen: Drachen und alle Abgründe. Es gibt Höhlen mit verborgenen Wassern, aus denen Quellen und Ströme entspringen; einige entspringen, um über die Erde zu fließen, andere fließen heimlich unter der Erde; und diese ganze Art, diese ganze feuchte Art von Gewässern, zusammen mit dem Meer und dieser unteren Luft, werden Abgrund oder Abgründe genannt, in denen Drachen leben und Gott preisen.

 

Isidor von Sevilla (ca. 560 - 636) übernahm die Beschreibung von Ausgustinus und brachte so den Drachen aus dem kirchlich-mythologischen Kontext einer Psalmenauslegung in eine Weltbeschreibung hinein:

 

Qui saepe ab speluncis abstractus fertur in aerem, concitaturque propter eum aer. [2]

Er wird oft aus den Höhlen in die Luft getragen und die Luft wird durch ihn aufgewühlt

 

Weitere Eigenschaften kamen ins Spiel, als Drachen in der christlichen Scholastik durch eine Missinterpretation mit dem feuerspeienden Seeungeheuer Leviathan gleichgesetzt wurden. Im Buch Hiob heißt es über den Leviathan:

 

Sein schützender Panzer ist sein Stolz, verschlossen mit Siegel aus Kieselstein. Einer reiht sich an den andern, kein Lufthauch dringt zwischen ihnen durch. Fest haftet jeder an dem andern, sie sind verklammert, lösen sich nicht. Sein Niesen lässt Licht aufleuchten; seine Augen sind wie die Lider der Morgenröte. Aus seinem Maul fahren brennende Fackeln, feurige Funken schießen hervor. Rauch dampft aus seinen Nüstern wie aus kochendem, heißem Topf. Sein Atem entflammt glühende Kohlen, eine Flamme schlägt aus seinem Maul hervor. [3]

 

Abbildung aus dem "Schlangenbuch" von Conrad Gessner (1587 posthum erschienen)
Abbildung aus dem "Schlangenbuch" von Conrad Gessner (1587 posthum erschienen)

Dem jüdischen Talmud zufolge wird der Leviathan nach der Schlacht von Harmagedon am Ende der Welt von Gott erschlagen - ganz ähnlich wie Thor beim altnordischen Untergang der Welt, Ragnarök, die Midgardschlange erschlägt. In der christlichen Ausdeutung des alten Testaments wird Jahwes "Drachenkampf" die Blaupause für mittelalterliche Heldenkämpfe mit Drachen, die nun meist als  gefährliche feuerspuckende Ungeheuer daherkommen. Das Feuer des Drachens konnte zudem als teuflisches Element gedeutet werden, so dass das Duell mit dem Ungetüm auch als Allegorie für den Kampf gegen das Böse gesehen wurde. Dabei gingen edle Ritter sowohl gegen kriechende Schlangendrachen als auch gegen Flugdrachen vor, gegen letztere allerdings weniger häufig. Claude Lecouteux konstatiert: "Der Flugdrache bleibt ein seltenes Motiv" und fügt hinzu "Außerdem ist zu bemerken, daß die Vorstellung vom Flugdrachen der nordischen Mythologie gänzlich fehlt." [4] Auch die Renaissance-Gelehrten führten noch beide Drachentypen im Portfolio. In Conrad Gessners berühmten Werk Historia animalium sind sowohl kriechende als auch geflügelte Drachen beschrieben. [5] Erst der moderne Fantasydrache wäre ohne Flugfähigkeiten gar nicht vorstellbar.


[1] Augustinus: Enarrationes in Psalmos (5. Jhd). Online: S. Augustini OPERA OMNIA - editio latina, PL 36. In Psalmum 148, 9

[2] Isidor von Sevilla: Etymologiarum libri XX (entstanden um 623). Liber XII: De animalibus, Caput IV. De Serpentibus, 4

[3] Die Bibel, Buch Hiob 41. Einheitsübersetzung 2016

[4] Claude Lecouteux: Romanisch-germanische Kulturberührungen am Beispiel des Mahls der Feen. Mediaevistik. 1988. Vol. 1, S. 87-99

[5] Conrad Gessner: Historia animalium. Bd. 1-4 1551 bis 1558, Bd 5. (Schlangenbuch) 1587. Online (Ausgabe 1613): Von den Trachen

 

Fremde Schätze und domestizierte Geldbrüter: eine Fusion

Schon die griechisch-römische Mythologie keinnt eine Drachenschlange als Schatzhüter.  In einer Fabel des römischen Dichters Phädrus (um 20 v. Chr. - 50 n. Chr.) namens  "Fuchs und Drache"  stößt ein Fuchs beim Graben eines Tunnels seines Fuchsbaus auf eine Höhle, in der ein Drachen auf Geheiß Jupiters "verborgene Schätze" hütet [1,2]. Auch der Drache aus dem angelsächsischen frühmittelalterlichen Heldenepos Beowulf hütet einen Schatz: Der Diebstahl eines goldenen Kelchs aus dem Drachenhort führt zum Drachenkampf und letzlich zum Tod des Titelhelden.

 

Unser feuriger Hausdrachen ist ebenfalls eine Art Schatzdrachen, allerdings mit dem Unterschied, dass er seine Schätze freiwillig herausrückt - gute Pflege vorausgesetzt! Hier stoßen wir auf eine Überlappung zu den geldbringenden Hausgeistern des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aberglaubens. Die Brüder Grimm propagierten in den "Deutschen Sagen" die Vorstellung eines Hausgeistes namens Spiritus familiaris

 

Er wird gemeinlich in einem wohlverschlossenen Gläslein aufbewahrt, sieht aus nicht recht wie eine Spinne, nicht recht wie ein Skorpion, bewegt sich aber ohne Unterlaß. Wer ihn kauft, in dessen Tasche bleibt er, er mag das Fläschlein hinlegen, wohin er will, immer kehrt es von selbst zu ihm zurück. Er bringt großes Glück, läßt verborgene Schätze sehen, macht bei Freunden geliebt, bei Feinden gefürchtet, im Krieg fest wie Stahl und Eisen, also daß sein Besitzer immer den Sieg hat, auch behütet er vor Haft und Gefängniß. Man braucht ihn nicht zu pflegen, zu baden und kleiden, wie ein Galgen-Männlein. [3]

 

In der inselkeltischen und angelsächsischen Folklore kennt man die "familiar spirits" oder kurz "familiars", die allerdings eine viel breitere Palette von Wesen umfassen. Hierher gehören Zauber- und Hexentiere, Chimären, Totems, aber auch verschiedenste Hausgeister. Der Grimm'sche Spiritus familiaris, auch "Teufel im Glas" genannt, gehört mehr zu den schon im Mittelalter weit verbreiteten volksmagischen Praktiken zur Erlangung von Reichtum - sei es über Schatzanzeiger wie die sogenannten "Weltspiegel", Zaubergeld wie Hecke- und Wechseltaler, Geldbrüter und Galgen-Männlein, oder Alraunen. Die angeblichen Fähigkeiten der genannten Dinge waren nicht genau definiert und konnten mehr oder weniger fließend ineinander übergehen. Insbesondere magische Wurzeln in Menschengestalt wie der Alraun mussten üblicherweise gut gepflegt, gewaschen, gekleidet und aufbewahrt werden, damit sie ihre Wirkung entfalteten.  Solche Pratiken waren nicht nur im gemeinen Volk populär: Kaiser Rudolf II. (1552–1612) bewahrte in seiner Wunderkammer zwei in roten Scharlach gekleidete Alraunenwurzeln namens "Thrudacias" und "Marion" auf. War der Erwerb für Kaiser Rudolf wohl kein finanzielles Problem, so konnte die Versuchung des schnellen Reichtums für leichtgläubige Normalbürger im finanziellen Ruin enden. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der Autor des bekannten Simplicissimus, publizierte 1673 eine Satire mit den Titel "GALGENMÆNNLIN Oder Ausführlicher Bericht / woher man die so genannte Allräungen oder Geldmännlin bekommt /..." [4], in der er seine Mitmeschen am Beispiel einer fiktiven Geschichte vor solchen abergläubischen Praktiken warnte.

 

Der feurige Hausdrache kann als Spezialfall eines Geldbrüters angesehen werden, der einerseits im Haus gepflegt und gefüttert wurde wie ein Hausgeist, für den Beutezug jedoch davonflog. Bei Kuhn und Schwartz findet man dazu den folgenden Hinweis:

 

Den Kobold nennt man im Saterlande alrûn und auch in Ostfriesland findet sich diese Bezeichnung. In Nordmohr erzählte eine Frau, er sei ein kleiner kaum fußhoher Kerl, den man in ein Spinde einsperre und ihn mit Milch und Zwieback füttere, davon werde er so stark, daß er ein ganzes Fuder Roggen im Maule fort- und seinem Wirthe zutragen könne. [5]

 

Der Flug, die Fähigkeit zum Feuerspeien und auch seine Gestalt sind der Vorstellung von Drachen als Meteore entnommen. Die Verschmelzung mit den anderen Eigenschaften könnte durch einen Domestikationsprozess eingeleitet worden sein, den man auch von anderen Wesen der Mythologie kennt. Besonders deutlich zu erkennen ist dies bei den freilebende Zwergen der Volkssagen, die dem Menschen dann und wann behilflich sind. Ihr domestiziertes Gegenstück sind die Hauswichtel, die zu bestimmten Zeiten ins Haus kommen oder sogar dauerhaft im Haus wohnen und dort allerlei Arbeiten verrichten.

 

In der Sagenwelt der Schweiz finden wir auch bei Drachen Anzeichen für eine solche Transformation. Der Volkskundler Ernst Ludwig Rochholz beschreibt 1852 in seiner Sammlung "Schweizersagen aus dem Aargau" einige Begebenheiten mit Drachen und weist selbst auf die merkwürdigen Vermischungen eines höhlenlebenden Ungeheuers mit einem "Dorfthier" hin:

 

Oberhalb Wettingen soll ein Drache seine Höhle gehabt haben, [...] Es werden ihm Flügel zugeschrieben, und wenn er durch die Lüfte stiege, soll er mit dem Feuer, daß er ausspeit, die Gegend in einem weiten Umfange erleuchten. Die Bevölkerung um Gansingen im Frickthale pflegt Kometen und Drachen für ziemlich gleiche Dinge anzusehen [...] Zum Dorfthier verallgemeinert, findet sich der Drache so ziemlich noch in jeglicher Ortschaft besonders und mit seinen eigenthümlichen Orts-Historien vor. Dann aber hat es das Unthier mit jedem Drachen anderer Sagen gemein, daß es gemeiniglich nur im Dorfbache lebt, daß seine Augen die Größe von Pflugrädern oder Fleischtellern haben, sein Leib die Länge eines Bindbaums... [6]

 

Insbesondere die Gestalt, der Vergleich mit einem Bindbaum (= Wiesbaum), aber auch die Bindung an den Menschen weist auf den Hausdrachen oder zumindest eine Zwischenform hin.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Sagengestalt des feurigen Hausdrachen eine komplexe Entwicklung durchlaufen hat. Die animistische Vorstellung von Drachen als feurige Himmelserscheinungen fusionierte vermutlich im ausgehenden Mittelalter mit einem Volksglauben über Hausgeister, denen Speiseopfer dargeboten wurden. Letztere bilden sicherlich die ältere Seite des Hausdrachens. Die vorchristlichen Glaubensvorstellungen in Mitteleuropa waren von verschiedenen romanischen und keltogermanischen Einflüssen geprägt, die im Zuge der nach Osten ausgerichteten Christianisierungsbestrebungen auch noch auf slawische Glaubenskonzepte trafen. Ab dem Frühmittelalter muss es über einen recht langen Zeitraum von einigen hundert Jahren zu Transformationsprozessen gekommen sein, bei denen der griechisch-römische und mit christlichen Gedankengut angereicherte Vorläuferformen Elemente von Hauskobolden, Geldbrütern, Drachen und zu einem kleinen Teil wohl auch von Krankheitsdämonen sowie den damit überlappenden Alben/Elben aufnahm. Gut möglich, dass solche Transformationen mehrfach, unabhängig voneinander und an verschiedenen Orten abliefen. Jedenfalls aber scheint schon im 16. Jahrhundert ein ziemlich klares und weithin bekanntes Konzept vom Hausdrachen existiert zu haben. Wie aber die einzelnen Einflussfaktoren miteinander wechselwirkten; was als ursprünglich, was als sekundär bewertet werden muss, ist weitgehend unklares Terrain. Deswegen ist der Titel dieses Beitrags in doppelter Hinsicht angebracht.


[1] Christa Tuczay: Drache und Greif – Symbole der Ambivalenz. Mediaevistik 2006 Vol. 19. S. 181

[2] Phaerdrus: Fabulae. Vulpis et draco. Lib. IV, Nr. 22

[3] Brüder Grimm. Deutsche Sagen. Berlin, 1816. Band 1, Nr. 84, S. 137

[4] Hans Jakob Christoffel Grimmelshausen: Simplicissimi Galgen-Männlin [...]. Nürnberg, 1673 [PDF]

[5] Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 423

[6] E. L. Rochholz: Schweizersagen aus dem Aargau. Gesammelt und erläutert. H.R. Sauerlaender, 1856. Band 2, S. 2

 

 

Noch mehr über Hausdrachen...

findet man möglicherweise in der Dissertation von Richard Knopf aus dem Jahr 1936 mit dem Titel: "Der feurige Hausdrache". Sie wird von Lutz Röhrich als Quelle angeführt. Leider scheint die Arbeit noch nicht digitalisiert worden zu sein und ich hatte noch keine Gelegenheit zur Einsichtname. Neueren Datums (2022) und außerordentlich inhaltsreich ist der Artikel "The Dragon as a Household Spirit" von Johannes Dillinger. Er legt einen Schwerpunkt auf den Drachen in der Hexenverfolgung, gibt aber auch breiten Einblick in Berichte aus dem Baltikum. Sein Online-Artikel "Rich Wiches" ist ebenfalls sehr lesenswert. Ansonsten ist im Drachen-Wiki-Artikel "Gluhschwanz" noch einiges Wissenswerte über den feurigen Hausdrachen  zusammengetragen. Die Beschreibung greift leider überwiegend auf Volkssagen zurück, herauszuheben ist aber der wichtige Verweis auf die "Drachenbutter" bzw. "Hexenbutter". Hans-Christian Trepte hat im Mytho-Blog das Thema Drachen behandelt und hier auch den Hausdrachen erwähnt.


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